Mittwoch, 17. Juni 2015, 07:00 - 07:00 iCal

Geschichte am Mittwoch/Geschichte im Dialog

Malte Griesse: Die mid-17th century crisis als vernetztes europäisches Kommunikationsereignis

Jour fixe des Instituts für die Erforschung der Frühen Neuzeit

Universität Wien - Institut für Geschichte, HS 45
Universitätsring 1, 1010 Wien

Vortrag


Moderation: Evelyne Luef

 

Abstract:

Es ist keine Neuigkeit, dass es in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu einer weitgehend präzedenzlosen Häufung von Revolten und Bürgerkriegen in ganz Europa (und auch darüber hinaus) gekommen ist und in der Frühneuzeithistoriographie hat die mid-17th century crisis als Höhepunkt der vielbeschworenen „Krise des 17. Jahrhunderts" dementsprechend auch zahlreiche Debatten ausgelöst. Meistens suchte man nach gemeinsamen strukturellen Ursachen für die verschiedenen politischen und sozialen Verwerfungen. Man fand sie beispielsweise in einer Krise des Feudalismus, in der kleinen Eiszeit, in Missernten, oder auch in einem allgemeinen Legitimitätsverlust der aufgeblähten Renaissance-Höfe angesichts rapide steigender Kriegsanstrengungen und Steuerforderungen. In meinem Vortrag möchte ich diesen jeweiligen Erklärungen ihre Gültigkeit nicht absprechen. Ich vertrete vielmehr die These, dass sich die Krisenereignisse durch die intensivierte länderübergreifende Kommunikation auch gegenseitig beeinflussten und bedingten. Durch die breite Zirkulation von Flugschriften und seit kurzer Zeit auch von regulären Zeitungen erfuhren große Teile der Bevölkerung von den Krisen in anderen Ländern. So konnten sie sich davon inspirieren lassen oder sie ablehnen, in jedem Falle aber mehr oder weniger ausgiebig darüber diskutieren und mit der eigenen Situation vergleichen. Zugleich liefen auch bei den Regierungen durch die Verstetigung diplomatischer Beziehungen viele geheime Berichte zusammen. Auch sie blickten mit gemischten Gefühlen auf diese Revolten und Aufstände im Ausland. Einerseits konnten sie sich über die Schwächung potentieller Gegner freuen, andererseits spürten sie, dass sie selbst im Glashaus saßen - oder auf Pulverfässern. Auch hier drängten sich häufig Analogien mit der eigenen inneren Lage auf. Nicht nur rationales Kalkül, sondern Gefühle wie Angst bestimmten politische Entscheidungen - und die wurden von den Berichten über Revolten oftmals geschürt. Selbstverständlich hatte der Umgang mit den Untertanen auch wieder Auswirkungen auf die Ereignisse im Konfliktfall. Schließlich beobachteten auch viele zeitgenössische Autoren die Häufung von Revolten und führten sie auf gemeinsame Ursachen zurück, zum Teil auf ganz ähnliche, wie sie in der späteren Geschichtsschreibung gefunden wurden. Es geht mir dabei weniger um die angeführten Ursachen, als um die Kommunikation darüber, die ihrerseits zu einem geschichtsmächtigen weil handlungsrelevanten Faktor wurden.

Zur Person:

Studium in Köln, Volgograd, Moskau und Paris. Promotion an der EHESS (Paris) über Meinungsbildung im Stalinismus. Lehre in Paris, Bielefeld und Konstanz. Seit 2013 Leiter der Nachwuchsgruppe „Revolten als Kommunikationsereignisse in der Frühen Neuzeit" am Exzellenz Cluster „Kulturelle Grundlagen von Integration" an der Universität Konstanz. Wichtige Publikationen: Communiquer, juger et agir sous Staline: la personne prise entre ses liens avec les proches et son rapport au système politico-idéologique (2011) und From Mutual Observation to Propaganda War: Premodern Revolts in their Transnational Representations (Hg. 2014).


Veranstalter

Institut für Geschichte


Kontakt

MMag.Dr. Andrea Brait
Institut für Geschichte
427740801
andrea.brait@univie.ac.at