Dienstag, 03. Juni 2014, 18:00 - 20:00 iCal

Marlen Bidwell-Steiner: "Affects Stick"

Potentiale und Risiken von Affekttheorien im historischen Vergleich

Hörsaal B, Campus der Universität Wien, Hof 2
Spitalgasse 2-4, 1090 Wien

Vortrag


Gegenwärtig erleben wir in den Neurowissenschaften eine intensive Diskussion über das Zusammenspiel von Körperphysiologie, Emotionalität und Kognition. Insbesondere die Bedeutung der Affekte für vormals „reine“ neuronale Prozesse gilt als Innovation. Dieser „affective turn“ lässt Rückschlüsse auf die Konstruktion von Geschlecht zu, da in der europäischen Ideengeschichte Emotionalität weiblich und Kognition männlich codiert sind.

Ein Blick auf materialistische Klärungsversuche an der Schwelle zur Scientific Revolution offenbart, dass die Affiziertheit des situierten Körpers schon einmal heftig diskutiert wurde. Mit der Ausdifferenzierung der Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert hat sich diese Spur tendenziell holistischer Leibvorstellungen verloren.

In der Konfrontation naturphilosophischer Texte aus der Spätrenaissance mit Theorien der rezenten Kognitionswissenschaften sowie wissenschaftskritischen Positionen der Gender Studies zielt dieser Beitrag darauf, die Effekte materialistischer Konzeptionen auf die Konstruktion von Geschlecht präzise herauszuarbeiten. Ob die Bewegtheit der Seele als Emotion, als Affekt, oder als Passion konzeptualisiert wird, hat weit reichende Konsequenzen für Modelle des Geschlechtskörpers. Neben Phänomenen der longue durée treten im diachronen Vergleich semantische Brüche zutage. Insbesondere an solchen Leerstellen soll gezeigt werden, wie innerhalb einer Epoche entlang jeweils gleicher Paradigmen sowohl misogyne als auch philogyne Körperkonzepte argumentiert werden. Im Vergleich wird auch deutlich, dass trotz radikaler Paradigmenwechsel innerhalb der Naturwissenschaften rhetorische Strategien nach wie vor an der Wissensgenerierung beteiligt sind. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion der Frage, wie feministische Wissenschaftstheorie jenseits von „Science Bashing“ (Sandra Harding) auf essentialistische Modelle des Geschlechtskörpers reagieren kann.

Marlen Bidwell Steiner, Dr.in, Romanistin und Literaturwissenschafterin; seit März 2010 Elise-Richter-Habilitationsstelle (FWF) am Institut für Romanistik, zuvor Leiterin des Referats Genderforschung an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Körpertheorien; Geschichte der Leib-Seele-Vorstellungen und der Emotionen; Literatur & Psychoanalyse, Gender Studies, Metapherntheorien.

Publikationsauswahl: Marlen Bidwell-Steiner/Anna Babka: Obskure Differenzen: Psychoanalyse und Gender Studies. Gießen: Psychosozial-Verlag 2013; Bespoke Spanish Passions: Calderon’s Medico de su honra Against the Backdrop of Early Modern Doctrines of Affect, in: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit, 17 (4)/2013, pp. 433-452; Arguments about Female Deficiencies in Changing Discoursive Clothes: From the "Humournome" via the Genome to the "Hormonome", in: Stefanie Knauss et al. (Hg.): Gendered Ways of Knowing in Science. Trento: Bruno Kessler Press 2012, pp. 109-133.

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Veranstalter

Referat Genderforschung der Universität Wien


Kontakt

Grit Höppner
Professur Gender Studies, Universität Wien
+43-1-4277-495-91
grit.hoeppner@univie.ac.at