Mittwoch, 11. Juni 2014, 18:30 - 20:00 iCal

Geschichte am Mittwoch/Geschichte im Dialog

Joachim Neurieser: Jugendwiderstand im Nationalsozialismus am Beispiel der Gruppe Landgraf

Universität Wien - Institut für Geschichte, HS 45
Universitätsring 1, 1010 Wien

Vortrag


Will man die Geschichte des Nationalsozialismus über die realen Alltagserfahrungen, den persönlichen Lebenswelten der sogenannten „kleinen Leute“ in all ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit erschließen, so muß das auch für den Teil der Gesellschaft gelten, der größtenteils seine Kindheit und Jugend unter nicht demokratischen bzw. offen diktatorischen Verhältnissen erleben musste. Lange Zeit blieben die Jugendlichen, deren Lebensumstände und Gefühlswelten im NS-Staat in der Forschung unberücksichtigt, was besonders auch für jene galt, die aus unterschiedlichen Gründen als Gegner des herrschenden Regimes auftraten, vom nonkonformistischen Protest und Ungehorsam bis zum organisierten politischen Widerstand.

In Wien bildete 1941 der Gymnasiast Josef Landgraf mit drei Freunden, allesamt im Alter zwischen 16 und 18 Jahren und aus unterschiedlichen sozialen Milieus stammend, eine Gruppe gleich Gesinnter, die aus eigenem Antrieb selbständig und ohne irgendwelche organisatorischen Verbindungen gegen Krieg und Willkürherrschaft und für den Sturz des NS-Regimes auftraten, weil sie deren grundsätzlichen Unrechtscharakter schon früh erkannten und radikal ablehnten.

Ohne dabei eine klare politische Programmatik zu verfolgen, stand die Hoffnung auf einen Sieg der westlichen Demokratien gegen den Hitlerfaschismus und der Kampf für Werte wie Humanismus und Toleranz im Vordergrund ihrer Handlungen, die hauptsächlich im Abhören sogenannter „Feindsender“ (deutschsprachige Programme der BBC), deren inhaltlicher Verarbeitung und Verbreitung via Flugblättern bestanden.

Während die Geschichte von anderen Widerstandsgruppen, die aufgrund ihrer Analogie bzgl. Struktur, Aktionismus, Verhaftung, Todesurteil für den Anführer in der Wissenschaft als „Vierergruppen“ bezeichnet werden, inzwischen recht gut dokumentiert ist, fehlt für die Wiener Gruppe Landgraf eine derartige Einzeldarstellung noch.

Im Zentrum des Projekts stehen die dramatischen persönlichen Erinnerungen des Protagonisten, wobei, um der Gefahr einer „anekdotischen Beliebigkeit“, wie sie der Memoirenliteratur zuweilen anhaftet, zu begegnen, der subjektive Text durch historisch verlässliche wissenschaftliche Kommentare begleitet und zahlreiche zeitgenössische Quellen ergänzt wird. Eine erfolgreiche Ausstellung, Diskussionsveranstaltungen und Lesungen etc. bildeten zudem weitere Programmpunkte im Rahmen dieses zeithistorischen Unternehmens.


Veranstalter

Institut für Geschichte


Kontakt

MMag.Dr. Andrea Brait
Institut für Geschichte
427740801
andrea.brait@univie.ac.at