Mittwoch, 05. Juni 2013, 19:00 - 20:30 iCal

Marcel Beyer: Die Unfähigkeit zu imaginieren. 1. Vorlesung: BILDPOLITIK

Ernst Jandl Dozentur für Poetik

Hörsaal 33, Hauptgebäude der Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien

Lecture


Im Rahmen der Ernst-Jandl-Dozentur für Poetik 2013 hält der deutsche Schriftsteller Marcel Beyer 2 Vorlesungen mit dem Haupttitel "Die Unfähigkeit zu imaginieren", in denen er dem Verhältnis von Sprache, Dichtung und Politik nachgeht.

Marcel Beyer zu seinen beiden Vorlesungen:

"Es ist etwa zwanzig Jahre her, daß in Deutschland Kritiker, Schriftsteller und Verlagsmitarbeiter die Rückkehr des 'guten, alten Erzählens' ausriefen. Mittlerweile allerdings wird mit gleicher Beharrlichkeit geklagt, es werde 'zu viel, zu gut, zu alt' erzählt, und es sei höchste Zeit, daß die Literatur wieder nach gesellschaftlicher Relevanz strebt, indem sie »unsere« als hochkomplex und damit offenbar als bedrohlich empfundene Wirklichkeit nicht nur erfaßt, sondern in derselben Bewegung auch erklärt. – Eine Forderung, die einem Wissenschaftler die Schamröte ins Gesicht treiben würde, können doch Datenmaterial, Werkzeug und Deutung nicht identisch sein. Selbst die früher vielbeschworene, in der Literatur vermeintlich zum Vorschein kommende 'höhere Wahrheit' hilft heute nicht mehr, dieses Dilemma zu kaschieren. Statt dessen erfreuen sich – in einer Art Übersprungsreaktion vielleicht – bei Kritikern wie Lesern Jugendbücher und Sozialmärchen größter Beliebtheit, als solle die Erfüllung der unerfüllbaren Forderung vorerst vertagt werden, indem man sich Genres zuwendet, die – entschieden »wirklichkeitswidrig« – von geringer Komplexität und nachvollziehbarer Regelhaftigkeit leben.

Mir schwebt vor, in meinen Vorlesungen »Bildpolitik« und »Wirkliches erzählen« eine Reihe von Figuren in den Blick zu rücken, die ich weder liebe noch verabscheue. Figuren zudem, die ich aus der Wirklichkeit herausgreife: sogenannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

Mein Material: Bilder teils realer, teils imaginärer Natur, also tatsächlich existierende Photographien und Gemälde ebenso wie Bilder, die im Kopf entstehen, die auf Suggestion beruhen, Phantasmen. Ich gebe gerne zu, daß ich fest vorhabe, mir die Vieldeutigkeit des Wortes 'Bild' zunutze zu machen.

In meinen Vorlesungen wird also voraussichtlich weniger von Literatur die Rede sein, als daß ich versuche, Literatur, und insbesondere ein literarisches Verfahren, als Werkzeug anzusetzen: die Bildbeschreibung.

Daß am Schluß der Vorlesungen ein Fazit stehen wird, wage ich zu bezweifeln. Eine Erkenntnis aber, die sich bereits in der Vorbereitung abzeichnet: Zu meiner Überraschung stoße ich überall in den Erzählungen aus der Wirklichkeit mit ihren offenen Enden auf genuin literarische Momente.

Im besten Fall wird im Verlauf der zwei Abende etwas entstehen, das Marianne Moore in ihrem Gedicht 'Poetry' als 'imaginary gardens with real toads in them' beschrieben hat. 'Bis dahin gilt' – so weiter Moore – 'verlangt es Sie nach dem Rohmaterial der Poesie in seiner ganzen Roheit, zum einen, sowie, zum anderen, nach etwas Unverwechselbarem, sind Sie ihr zugetan: der Poesie'."


Veranstalter

Institut für Germanistik


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Thomas Eder
Institut für Germanistik
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