Dienstag, 07. Mai 2013, 19:00 - 20:30 iCal

Strategien der Natur? Narrative des Erotischen in biologischen Theorien des kolonialen Europas

Dr.in Waltraud Ernst

Hörsaal B
Spitalgasse 2-4 / Hof 2.10, 1090 Wien

Vortrag


Naturwissenschaften können als Erzählungen über die Natur und Bedeutung sozialer Beziehungen verstanden werden (vgl. Haraway). Die Affinitätstheorien in der Chemie des 18. Jahrhunderts erwiesen sich als ein Ort, an dem die Anziehungskräfte zwischen Körpern als Affinität und Zuneigung diskutiert wurden, deren Resultat und Dauer als letztendlich nicht berechenbar galt. In späteren Ansätzen, insbesondere in Charles Darwins Evolutionstheorie, vollzog sich erotische Anziehung nach natürlichen Mechanismen der Selektion, die in Begriffen von Naturgesetzen beschrieben und vorausberechnet werden konnten. Das Erotische wurde zum Steuerungsmechanismus der Entwicklung von Populationen. Diese Versuche, erotisches Begehren und Vergnügen, erotische Beziehungen und Praktiken zu klären, geschah oft mit einer Zuschreibung von Intentionalität an „die Natur“, als Strategie der Natur.

In dieser Weise lieferten im Laufe des 19. Jahrhunderts die Erzählungen der Natur Argumente, die dazu genutzt werden konnten, legitime erotische Verhältnisse von illegitimen Verhältnissen zu unterscheiden und natürliche von unnatürlichen. Darüber hinaus wurden manche erotische Praktiken mit dem Argument legitimiert, dass sie hinsichtlich der Entstehung neuen Lebens oder der Reproduktion der Art einen übergeordneten Zweck erfüllten. Andere, insbesondere Masturbation und gleichgeschlechtliche Beziehungen, wurden dagegen als problematisch betrachtet. So positionierten sich naturwissenschaftliche Deutungen des Erotischen zwischen dysfunktionaler Lusterfüllung und Fortpflanzungsmechanismus im rassistischen Bevölkerungsdiskurs des kolonialen Europas.

Doch scheint sich das Erotische als vielleicht faszinierendster Aspekt des Lebens der wissenschaftlichen Transparenz hartnäckig zu entziehen. Im Vortrag wird daher das Erotische als begrenztes Feld der Wissensproduktion erörtert, und zwar in dem Sinne, dass anhand prominenter Beispiele aus der Naturwissenschaftsgeschichte dargelegt wird, welche Art von Wissen produziert wird und wie die angesprochenen Fragen mit den jeweiligen Anliegen einzelner, ganzer Gruppen oder kultureller Epochen verwoben sind bzw. waren.

 

Waltraud Ernst, Dr. phil., M.A., Philosophin u. Literaturwissenschaftlerin; seit Juli 2010 Universitätsassistentin am Institut für Frauen- und Geschlechterforschung der Johannes Kepler Universität Linz; 2004-2010 Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterstudien der HAWK und der Universität Hildesheim; 2001-2003 Projektleiterin (Hertha Firnberg-Forschungsstelle) am Institut für Philosophie, Universität Wien; Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Gender in Science and Technology; Feministische Wissenschafts- und Erkenntnistheorie; Begriffe, Theorien und Methoden der

Gender Studies; Cultural Studies of Science; Ethik und Politik der Globalisierung. Publikationen u.a.: Diskurspiratinnen. Wie feministische Erkenntnisprozesse die Wirklichkeit verändern, Wien: Milena Verlag 1999. Geschlecht und Innovation. Gender Mainstreaming im Techno-Wissenschaftsbetrieb, Berlin: LIT Verlag 2010 (Hg.); Ethik - Geschlecht – Medizin. Körpergeschichten in politischer Reflexion, Berlin: LIT Verlag 2010 (Hg.). Metapher und Materie? Zur Wissenschaftsgeschichte des erotischen Körpers, in: Bidwell-Steiner, M./Zangl, V. (Hg.): Körperkonstruktionen und Geschlechtermetaphern. Zum Zusammenhang von Rhetorik und Embodiment. Innsbruck: StudienVerlag 2009, 45-56. Web: www.jku.at/ifg/content

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Veranstalter

Referat Genderforschung der Universität Wien


Kontakt

Sushila Mesquita
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