Die genetisch bedingte Erkrankung Rett-Syndrom ist heilbar

Gastbeitrag von Dieter Schweizer | 10. November 2016

Sir Adrian Bird, der Gastvortragende der zweiten Hans Tuppy-Lecture, erweckte Hoffnungen, dass das Rett-Syndrom in Zukunft heilbar sein wird. Daraufhin deuten seine molekulargenetischen Untersuchungen an der Universität Edinburgh.

An der zweiten Hans Tuppy-Lecture mit dem Titel "Epigenetics & Rett Syndrome", die diesmal an der Universität Wien stattfand, wurde ein hochaktuelles Forschungsthema der Molekulargenetik behandelt, welches in zweifacher Hinsicht mit Wien in Verbindung gebracht werden kann. Das Rett-Syndrom, eine gravierende Entwicklungsstörung des Kindes, wurde vom Wiener Neuropädiater Andreas Rett, Dozent an der Universität Wien, 1966 erstmals beschrieben.

Da das dominante Rett-Gen auf dem X-Chromosom liegt, sind nur Mädchen von dieser genetisch bedingten Erkrankung betroffen, in Österreich etwa 200. Die genetischen Grundlagen des Rett-Syndroms wurden von Professor Adrian Bird 1992 in Zusammenarbeit mit der Universität Wien am Wiener Institut für Molekulare Pathologie am Campus Vienna Biocenter aufgeklärt. Seither führt er die Grundlagenforschung über das Rett-Syndrom an seinem Institut an der Universität Edinburgh weiter.

Noch ein langer Weg ...

Der berühmte Gastvortragende erläuterte in seinem in englischer Sprache gehaltenen Vortrag anhand beeindruckender Forschungsergebnisse seiner Arbeitsgruppe den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Gehirns und dem Rett-Gen-Protein MECP2. Dieses Protein ist wiederum dafür bekannt, dass es die Information des epigenetisch-markierten Genoms, des sogenannten Epigenoms, zu lesen in der Lage ist. Das Epigenom ist die Gesamtheit aller epigenetischen Markierungen des Genoms.

Epigenetiker Adrian Bird zu Gast an der Universität Wien

2. Hans Tuppy-Lecture über das Rett-Syndrom am Dienstag, 8. November 2016

Im Rahmen der Vortragreihe "Hans Tuppy-Lectures" der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften spricht der renommierte britische Genetiker Adrian Bird über "Epigenetik & Rett Syndrome". Sein Forschungsschwerpunkt ist die DNA-Methylierung. Bird entdeckte DNA-bindende Proteine, die methyliertes Cytosin im Genom erkennen und dort binden. Das führte ihn unerwartet zum Rett-Syndrom, dessen Ursachen Adrian Bird aufklären konnte.

Sir Adrian Peter Bird gilt als Pionier der Epigenetik, eines Fachgebiets der Biologie, welches sich mit jenen Veränderungen in den Genwirkungen auseinandersetzt, die nicht auf Mutationen zurückzuführen sind. Bei Epigenetik geht es um ein breites Spektrum chemischer Markierungen auf den Chromosomen, durch welche die Aktivität der Gene verändert wird. Das epigenetisch markierte Genom wird zum "Epigenom". Die prominenteste unter den Markierungen ist die DNA-Methylierung, eine chemische Modifikation der chromosomalen DNA, welche sich auf die Wechselwirkungen zwischen DNA und Proteinen auswirkt. Es gibt verschiedene klinische Erkrankungen, bei welchen ein Zusammenhang mit Genen besteht, die das Epigenom regulieren. Ein prominentes Beispiel ist das Rett-Syndrom, eine dem Autismusspektrum zugeordnete Entwicklungsstörung, die auf Mutationen im Gen für das Protein MECP2 zurückzuführen sind. Dieses Protein steht im Mittelpunkt der Forschung von Adrian Bird. Interessanterweise sind die durch Mutationen im MECP2-Gen bewirkten neurologischen Fehlfunktionen, wie sie beim Rett-Syndrom vorkommen, nach Reparatur des Gens reversibel – zumindest in den untersuchten tierischen Modellsystemen. Dieses unerwartete Ergebnis gibt Anlass zur Hoffnung, dass das Rett-Syndrom heilbar sein könnte.

Über Sir Adrian Peter Bird
Adrian Bird erwarb seinen Ph. D. an der Universität Edinburgh. Danach arbeitete er als Postdoctoral Researcher an verschiedenen Universitäten und Instituten, u.a. an der Yale Universität, an der Universität Zürich und am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien. Ende 1990 wurde Bird Buchanan Professor für Genetik an der Universität Edinburgh. Von 1999 bis zum Jahr 2011 war Bird Direktor des Wellcome Trust Centre for Cell Biology in Edinburgh. Für seine bahnbrechenden Theorien und Entdeckungen wurde Adrian Bird vielfach ausgezeichnet. Im Jahr 2014 wurde er von Queen Elizabeth II für seine Verdienste um die Wissenschaft zum Ritter geschlagen.

Über Hans Tuppy
Hans Tuppy hat wie kein anderer die österreichische Wissenschafts- und Forschungslandschaft geprägt: als Wissenschafter, als Rektor der Universität Wien, als Präsident des FWF, als Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), als Wissenschaftsminister und als Berater und Förderer an vielen weiteren wichtigen Stellen in der österreichischen Forschungslandschaft.Um den österreichischen Biochemiker Hans Tuppy und seine Leistungen zu ehren, haben die Universität Wien und die ÖAW im Jahr 2016 eine neue Vortragsreihe ins Leben gerufen, die einmal pro Semester stattfindet. Im Rahmen der "Hans Tuppy-Lectures" kommen hervorragende WissenschafterInnen zu Wort, die einen bahnbrechenden Beitrag auf dem Gebiet der Biochemie oder Molekularbiologie geleistet haben.