Dienstag, 15. November 2022, 19:00 - 21:30 iCal

Vienna Public History Lecture I

Valentin Groebner: "Futsch. Über Geschichte und Verschwinden"

Großer Festsaal der Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien

Vortrag


Der öffentliche Umgang mit Geschichte hat selbst eine Geschichte und erzeugt selbst immer wieder Geschichten, die sich wirksam machen und deren Herkunft in aller Regel ebenso unerkannt wie unbedacht bleibt. Diese neue jährliche Vortragsreihe der Historisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät, die sich bewusst an eine Öffentlichkeit wendet, die nicht nur streng akademisch ist, bemüht sich darum, Persönlichkeiten zur Sprache zu bringen, die durch ihre Schriften immer wieder bewiesen haben, wie alltäglich, wie bedeutsam und meist unsichtbar diese Geschichtsgeschichten in unser aller Leben bleiben.

 

Zum Vortrag:

Historische Gebäude, Kunstwerke und Sammlungen sind im 21. Jahrhundert nirgendwo mehr lästige Überreste von früher, wie in den Modernisierungsschüben des 19. Jahrhunderts oder noch in den 1950er und 1960er Jahren. Heute werden sie als sorgfältig gehütete und mit öffentlichen wie privaten Mitteln aufwändig in Schuss erhaltene Schätze aufgefasst. Sie sind gleichzeitig unersetzliche Materialisierungen kollektiver Selbstbilder, nationales Erbe und kostbare Ressourcen touristischer Vermarktung. Deshalb müssen sie um jeden Preis erhalten werden und, falls durch einen Unglücksfall beschädigt, um jeden Preis wiederhergestellt. Die Wellen medialer Erregung über den Brand von Notre Dame de Paris 2018, der Anna Amalia-Bibliothek in Weimar 2004 oder des Theaters La Fenice in Venedig 1996 haben diese Mechanismen exemplarisch vorgeführt.

Zur üblichen Selbstbeschreibung des 21. Jahrhunderts als hochinnovativ und zukunftsorientiert steht diese Verlustsensibilität in einem erklärungsbedürftigen Verhältnis. Zur Geschichte ebenfalls – für die Bauherren der Renaissance und des Barock war der Abriss des Alten völlig selbstverständlich. Umgekehrt hat schon die industrielle Moderne des 19. Jahrhunderts zerstörte mittelalterliche Baudenkmäler rekonstruiert; oder durch Neues im alten Stil ersetzt.

Musealisierung ist die Standardprozedur des öffentlichen Umgangs mit historischen Hinterlassenschaften und gleichzeitig eine Wundertüte. Was verändert sich im Umgang mit historischer Zeit, wenn die Zeugnisse einer unwiderruflich verschwundenen Vergangenheit überall blitzblank herumstehen, authentisch und historisch, aber in bestem Zustand? Den Paradoxa einer auf unabsehbare Dauer gestellten Vergangenheit möchte ich in meinem Vortrag nachgehen. Wenn nichts mehr kaputt und verloren gehen darf, was geschieht dann mit den Dingen von früher, die in der Gegenwart ausgestellt werden? Welche Art von Geschichte zeigen Museen, und womit kontaminieren sie ihre Schätze – und ihre Besucherinnen und Besucher?

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Veranstalter

Fakultätszentrum für transdisziplinäre historisch-kulturwissenschaftliche Studien (Arbeitsbereich Public History) und Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät


Kontakt

Marko Demantowsky
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Fakultätszentrum für transdisziplinäre historisch-kulturwissenschaftliche Studien
+43-1-4277-67105
marko.demantowsky@univie.ac.at