Donnerstag, 14. Januar 2016, 12:00 - 14:00 iCal

INTERAKTIONEN: Schutzbedürftig und handlungsfähig

Sonja Matter: Schutzbedürftig und handlungsfähig: Adoleszente Mädchen und die Bestimmungen zum sexuellen Schutzalter (1950-1980)

Seminarraum 1, Institut für Zeitgeschichte
Spitalgasse 2-4/Hof 1, 1090 Wien

Vortrag


In der modernen westlichen Welt symbolisiert das sexuelle Schutzalter – wie wenige andere rechtliche Bestimmungen – das Ende der Kindheit. Doch welches Lebensjahr soll dieses Ende markieren? Und welche Rolle spielt dabei die Kategorie „Geschlecht“? Diese Frage wurde in zahlreichen Ländern seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert kontrovers diskutiert und stand im Zuge von Strafrechtsrevisionen zwischen 1950 und 1980 wiederum zur Debatte, so auch in Österreich. Während zahlreiche europäische Länder das Schutzalter seit dem 19. Jahrhundert auf 16 Jahre erhöht hatten, hielt Österreich am Schutzalter von 14 Jahren fest. Wie jedoch anhand von Strafgerichtsakten erstinstanzlicher Gerichte aufgezeigt werden kann, fungierten diese gesetzlichen Bestimmungen nicht als scharfe Grenze: Die Frage, wer als Kind galt und damit einen erhöhten Anspruch auf Schutz vor sexuellen Übergriffen hatte, war Gegenstand von Aushandlungsprozessen. Im Vortrag wird der Blick insbesondere auf adoleszente Mädchen gerichtet – Mädchen also, die noch unter dem Schutzalter waren, aber von verschiedenen Akteuren nicht mehr selbstverständlich als „Kinder“ eingestuft wurden. Zahleiche Mädchen, die vor Gericht aussagten, waren bereits in der Pubertät, hatten Wissen über Sexualität und äußerten teilweise auch sexuelles Begehren. Gleichzeitig waren sie in der patriarchalen Geschlechterordnung – auf Grund ihres Geschlechts und ihres Alters – vielfach in einer verletzlichen Position situiert. Mit Blick auf diese Ambivalenzen soll die Frage untersucht werden, welche Rechte adoleszente Mädchen vor Gericht geltend machen konnten. Das Recht, vor sexuellen Misshandlungen geschützt zu werden, zeigte sich in zahlreichen Fällen als ebenso prekär wie das Recht, sexuelle Beziehungen eingehen zu können.

Sonja Matter ist Historikerin und derzeit Gastwissenschaftlerin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Frauen- und Geschlechtergeschichte, der Geschichte der Adoleszenz, der Geschichte der Armut und des Wohlfahrtsstaates. Sie studierte und promovierte an der Universität Bern, absolvierte Forschungsaufenthalte in den USA und in Frankreich und war Lehrbeauftragte an den Universitäten Bern, Luzern und Basel.

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Veranstalter

INTERAKTIONEN / Institut für Zeitgeschichte


Kontakt

Marianne Ertl
Institut für Zeitgeschichte
4277-41202
marianne.ertl@univie.ac.at