Mittwoch, 20. Juni 2018, 19:00 - 21:00 iCal

Elmer Luchterhand: Einsame Wölfe und stabile Paare

Verhalten und Sozialordnung in den Häftlingsgesellschaften nationalsozialistischer Konzentrationslager

Depot | Kunst und Diskussion
Breitegasse 3, 1070 Wien

Buchpräsentation, Lesung


Das Buch „Einsame Wölfe und stabile Paare. Verhalten und Sozialordnung in den Häftlingsgesellschaften nationalsozialistischer Konzentrationslager“ ist die deutsche Übersetzung der 1953 approbierte Dissertation des amerikanischen Soziologen Elmer Luchterhand. Dieses bahnbrechende, aber zu Unrecht unbeachtet gebliebene Werk verdient breitere Beachtung. Die beiden Herausgeber, Andreas Kranebitter (Forschungsstelle der KZ-Gedenkstätte Mauthausen) und Christian Fleck (Professor für Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz), machen damit einen beeindruckenden Teil des unveröffentlicht gebliebenen Werkes Elmer Luchterhands für die Forschung zugänglich.

Elmer Luchterhand (1911–1998), in den 1930er-Jahren politischer Aktivist im nördlichen US-Bundesstaat Wisconsin, war während des Zweiten Weltkriegs Nachrichtenoffizier in der 65th Infantry Division der U.S. Army und als solcher an der Befreiung des KZ Hersbruck, eines Außenlagers des KZ Flossenbürg, beteiligt. Als Public Relations Writer besuchte er nach ihrer Befreiung acht Konzentrations- und Zwangsarbeitslager, darunter auch die befreiten KZ Mauthausen und Gusen. Die informelle Interviewtätigkeit, die er dort für Armeeberichte benutzt hatte, setzte er als Student in den USA fort. Der ehemalige GI im Rang eines Sergeant wurde so zum KZ-Forscher. Für seine Dissertation führte er 52 Interviews mit KZ-Überlebenden, unter ihnen etwa die österreichischen Sozialwissenschaftler Paul Neurath und Ernst Federn, und verwendete dafür einen methodisch innovativen und unorthodoxen Interviewleitfaden, um Daten zu sozialen Beziehungen in den Häftlingsgesellschaften der Konzentrationslager zu generieren – u.a. zu sensiblen Themen wie Diebstahl und Sexualverhalten. Nicht das egoistische Verhalten als „einsamer Wolf“ habe ein Überleben in den Konzentrationslagern ermöglicht, so schloss er aus seinen Interviews, sondern die Solidarität in Paaren und kleinen Gruppen sei buchstäblich überlebensnotwendig gewesen. Später beschäftigte sich Luchterhand als Professor für Soziologie am Brooklyn College in New York auch mit anderen Thematiken, doch ließ ihn die Auseinandersetzung mit den NS-Konzentrationslagern nie los.

Ab den frühen 1970er-Jahren arbeitete er an einem nie publizierten Buch namens Doggerwerk, das die Einbindung eines Außenlagers in seine kleinstädtische Umgebung thematisieren sollte und für das er Interviews mit 73 Überlebenden und „Co-Presents“, aber auch mit Tätern führte – zu einer Zeit, als die interviewten früheren SS-Angehörigen in der oberbayrischen Pfalz für ihre Auskunftsbereitschaft von ihren Kumpanen körperlich attackiert wurden.

 

Die Herausgeber:

Andreas Kranebitter hat Soziologie und Politikwissenschaften in Wien studiert. Seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, von 2014 bis 2017 uni:doc-fellow am Institut für Soziologie der Universität Wien, seit 2017 Leiter der Forschungsstelle der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Jüngste Veröffentlichungen: Zahlen als Zeugen. Soziologische Analysen zur Häftlingsgesellschaft des KZ Mauthausen (new academic press 2015).

Christian Fleck, ao. Univ. Prof. am Institut für Soziologie der Universität Graz und Chief Research Fellow am Poletayev Institute for Theoretical and Historical Studies, Higher School of Economics, Moskau. Jüngste Veröffentlichungen: Etablierung in der Fremde. Vertriebene Wissenschaftler in den USA nach 1933 (Campus 2015); Sociology in Austria (Palgrave Macmillan 2016); „An American in Frankfurt: Everett C. Hughes’s Unpublished Book on Germans after the End of the Nazi Regime“, in: The Anthem Companion to Everett Hughes, ed. by Rick Helmes-Hayes & Marco Santoro, London: Anthem Press 2016, 149-172.


Veranstalter

KZ-Gedenkstätte Mauthausen


Um Anmeldung wird gebeten


Kontakt

Andreas Kranebitter
KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial
Forschungsstelle
01/56126/3663
andreas.kranebitter@mauthausen-memorial.org